Rede unseres Fraktionsvorsitzenden, Chaled-Uwe Said:
„Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Potsdamerinnen und Potsdamer,
heute vor 76 Jahren ging mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht nach 5 Jahren und 9 Monaten der 2. Weltkrieg zu Ende.
Ein Krieg, der auf allen Seiten brutal geführt wurde.
Ein Krieg, der sich zu einem Vernichtungskrieg entwickelte.
Ein Krieg, der sich von deutscher Seite im Verlauf auch gegen die eigene Zivilbevölkerung richtete.
Millionen jüdische Deutsche, Polen, Ukrainer, Ungarn
und viele Angehörige weiterer Nationen wurden auf beispiellos grausame Weise umgebracht, durch Zwangsarbeit vernichtet oder kamen schlicht durch Hunger zu Tode.
Besonders grausam betrog er aber osteuropäische Völker, die sich vom Einmarsch der deutschen Wehrmacht erst Befreiung vom Terrorregime der Bolschewisten erhofften und bekamen, dann aber durch die politisch geführten deutschen Einheiten rassisch verfolgt und oft zur Sklavenarbeit gezwungen wurden.
Auf deutscher und sowjetischer Seite wurden Väter und Söhne von den Regimen für einen erbarmungslosen Krieg missbraucht.
Millionen Soldaten ließen ihr Leben in Pflichterfüllung oder
kämpften aus Angst vor Repressalien bis zu ihrem Ende.
Auf den Schlachtfeldern leisteten die Völker der Sowjetunion
mit 6,2 Millionen Toten und rund 23 Millionen Verwundeten und Vermissten den größten Blutzoll.
Hinzu kommen 17 Millionen zivile Opfer.
Von den 17 Millionen deutschen Wehrpflichtigen fielen
5,3 Millionen. Hinzu kommen 1,2 Millionen Deutsche,
die in Kriegsgefangenenschaft starben.
Ihnen allen gilt heute unser Gedenken.
Wir haben uns heute hier am Gedenkstein für die Vertriebenen aus den deutschen Siedlungsgebieten jenseits von Oder und Neiße versammelt, die sich nach dem Verlust ihrer Heimat in Brandenburg niederließen.
Wir wollen an diesem Gedenkort nicht nur an die Grausamkeiten der Kriegshandlungen oder an die Vernichtungspolitik der rassistischen, nationalsozialistischen Fanatiker erinnern, sondern auch daran,
was hinter den Frontlinien geschah und was nach dem Kriegsende stattfand.
Das Schicksal der Vertriebenen, die sich in Brandenburg niederließen, teilen sie mit geschätzt 12 Millionen Deutschen, die ihre Heimat und ihr Hab und Gut aus Angst vor der herannahenden Front aufgeben mussten, die auf den Trecks übelsten Grausamkeiten sowjetischer Soldaten, polnischer und tschechischer Ultranationalisten ausgesetzt waren.
Deshalb ist der 8. Mai 1945 nicht nur ein Tag der Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur.
Oder wie Richard von Weizsäcker 1985 unter anderem feststellte
„Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern“ (…) – und „wir haben wahrlich keinen Grund, uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen.“
Dessen brutales Ende gegen deutsche Zivilisten mit Vertreibungen, Morden und Massenvergewaltigungen unvorstellbaren Ausmaßes wollen und werden wir nicht vergessen.
Gerade dann, wenn der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Potsdam vorrangig an die gefallenen sowjetischen Soldaten erinnert und an unbestreitbare deutsche Schuld, aber die Schuld der anderen Nationen dröhnend beschweigt.
Der 8. Mai 1945 ist zudem nicht nur der Beginn der endgültigen Etablierung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland, sondern auch der zweiten deutschen Diktatur – diesmal stalinistisch-kommunistischer Prägung und für viele Deutsche der Beginn eines weiteren Martyriums.
Unmittelbar nach Kriegsende begann in der sowjetischen Besatzungszone die Realisierung eines totalitären Herrschaftssystems, das abgeschwächt bis 1989 bestand.
Daher wollen wir heute hier auch derjenigen gedenken,
die in unserer Heimat Potsdam nach der Besetzung durch das stalinistische Regime willkürlich verhaftet, verschleppt und ermordet wurden.
Als Vater mit Kindern im schulpflichtigen Alter denke ich besonders an drei mutige Schüler des ehemaligen Realgymnasiums (heute Albert-Einstein-Gymnasium).
Joachim Douglas, Klaus Eylert und Klaus Tauer –
wurden am 18. Dezember 1945 von der sowjetischen Spionageabwehr SMERSH verhaftet und im Alter von 16 Jahren am 18. April 1946 in der heutigen Leistikowstraße hingerichtet.
Mit ihnen verhaftet aber begnadigt wurde Herrmann Schlüter.
Verhaftet wurden die Schüler unter der Anklage subversiver anti-sowjetischer Propaganda und der Planung von Sabotageakten – sogenannter „Werwolf“-Aktionen. Nach Aussagen Herrmann Schlüters war es allerdings ihre Weigerung, am Russisch-Unterricht teilzunehmen.
Ihnen folgte eine zweite Gruppe Potsdamer Jugendlicher,
die vom Schicksal ihrer Freunde erfuhren. Sie planten eine Aktion, um die erste Gruppe Jugendlicher zu befreien, wurden verhaftet und größtenteils ebenfalls zum Tode verurteilt und ermordet.
Diese mutigen Jugendlichen waren:
Hans-Berthold Deimling, Hans Richter, Heinz Schwollius, Hans Gerhard Feuerstark, Siegfried Kämmerer, Hans Gerhard, Joachim von Löwenstern, Hans Landt, Alfons Graetz, Klaus Wächter, Engelhardt Marcks und Hans-Dieter Gränz.
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages stellte 2013 fest, dass von 1945 bis 1954 nachweislich ca. 13.000 Deutsche in die Sowjetunion deportiert und zum Teil ermordet wurden.
Andere Schätzungen gehen von bis zu 730.000 Deutschen aus (darunter auch Volksdeutsche aus den ehemaligen
osteuropäischen Siedlungsgebieten), die zur Zwangsarbeit oder Hinrichtung deportiert wurden.
Unter den Opfern war 1951 auch das Potsdamer Bürgermeister-Ehepaar Charlotte und Erwin Köhler. Erwin Köhler war der erste CDU-Bürgermeister nach dem Kriege. Nach Repressalien anlässlich seines Protestes gegen die Zwangseingliederung der CDU in die SED und seinem Rücktritt, wurde das Ehepaar Köhler am 28. März 1950 verhaftet, gefoltert, zum Tode verurteilt, nach Moskau verschleppt und 1951 im Gefängnis Butyrka hingerichtet.
Ihr Schicksal und das der Schüler teilten 60 Potsdamer bis zum Ende des Stalinismus.
Auch dies wollen und werden wir nicht vergessen!
Abschließend sei auch an die 5 1/2 Millionen vor oder während des Krieges geflohenen Sowjetbürger erinnert, die nach 1945 gegen ihren Willen unter Mithilfe der West-Alliierten in das Terrorregime Stalins repatriiert wurden.
Über 1 Million von ihnen wurde zum Tode oder zu lebenslänglicher Haft im GULAG verurteilt. 3 Millionen dieser politischen Flüchtlinge mussten in Stalins Arbeitslagern Zwangsarbeit leisten.
Die unzähligen Toten des 2. Weltkriegs und der totalitären Diktaturen müssen uns immer mahnen, konsequent für die Freiheit einzustehen, Ideologien zu misstrauen und unsere freiheitlichen Werte zu verteidigen.
Seien wir sensibel gegenüber ideologiegeleiteter Politik!“
Quellen:
PNN, Guido Berg (11.12.2009) – https://www.pnn.de/…/von-guido-berg…/22192352.html (7.5.2021, 19:00 Uhr)
PNN, Guido Berg (18.12.2013) – https://www.pnn.de/…/wissen-wie-die-opfer…/21635348.html (7.5.2021, 19:00 Uhr)
Die Welt, Berthold Seewald (8.5.2015) – https://www.welt.de/…/Wie-die-hohen-Verluste-der-Roten… (7.5.2021, 19:00 Uhr)
Weigelt et al. (2015) – Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944-1947), S. 361 ff
Gebhardt, Miriam (2015) – Als die Soldaten kamen: Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs
Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, Bonn, 8.5.1985 – https://www.bundespraesident.de/…/05/19850508_Rede.html (7.5.2021, 19:00 Uhr)